St.-Gotthard-Gymnasium der Benediktiner Niederaltaich

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Flucht in die Freiheit – Zeitzeuge Dr. Müller am St.-Gotthard-Gymnasium

Das St.-Gotthard-Gymnasium Niederalteich konnte seinen Schülerinnen und Schülern der 10. Jahrgangsstufe am 03.12.2019 einen besonderen Gast präsentieren: Dr. Helmut Müller, Jahrgang 1949, bis 2014 Oberarzt für Urologie am Donau-Isar-Klinikum und Vorsitzender der Aktion Knochenmarkspende Deggendorf, berichtete im Rahmen des Geschichtsunterrichts über die Flucht seiner Familie aus der DDR in den Westen.

Nachdem Schulleiter Johann Lummer Dr. Müller vor den rund 75 Schülern willkommen geheißen hatte, erhielten diese Einblicke in Müllers Kindheit. Er vermittelte anhand von verschiedenen Karten und Bildern sehr anschaulich, wie es gewesen war, im zerstörten Nachkriegs-Dresden aufzuwachsen. Sein Vater führte dort eine große Zahnarztpraxis, die den Müllers ein Leben mit gewissen Vorteilen sicherte. Nachdem ein Großteil der Bildungsschicht aus der DDR geflüchtet war, wollte man die Müllers im Land halten. So konnte Müllers älterer Bruder direkt nach dem Abitur an der Humboldt-Universität in Berlin sein Medizinstudium beginnen.

Der Mauerbau am 13.08.1961 beendete das privilegierte Leben der Müllers, was sie das Regime auch spüren ließ. Man teilte Vater Müller mit, dass sein jüngster Sohn das Abitur nicht machen durfte. So reiften erste Fluchtgedanken bei der Familie und Pläne wurden geschmiedet, um davon abzulenken: Obwohl keiner der Söhne Mitglied einer SED-Jugendorganisation war, sammelte Müller nun für die Nationale Front.

Das Vorhaben aber wurde konkreter: Man wog ab, ob man die DDR über Wasser oder auf dem Landweg verlassen sollte und stieß schließlich auf die befreundete Familie Aagaard, die im Ost-Berliner Stadtteil Glienicke wohnte, ca. 40 Meter neben der Berliner Mauer. Müllers Bruder, der in Berlin studierte, begann mit den Aagaards einen Tunnel zu graben. Damit die Grenzsoldaten keinen Verdacht schöpften, gab man zunächst vor, eine Terrasse zu errichten. Da man den Aagaards vom Wachturm aus in das Wohnzimmer sehen konnte, musste jedes Sandkorn innerhalb des Hauses fein säuberlich versteckt werden. Zwischenwände und -decken wurden eingezogen, Kommoden und Schränke mit Sand gefüllt, sodass auch Patrouillen nicht misstrauisch wurden. Gleichzeitig erweiterte Frau Aagaard ihren Frisiersalon, um von der Absicht abzulenken.

Vom 09. auf den 10. März 1963 erfolgte letztendlich die Flucht. 13 Menschen stiegen während einer fingierten Party in den 40x60 Zentimeter großen Tunnel. Mitnehmen konnten sie nur eine Aktentasche. Mit dieser begann nach zweistündigem Ausharren ein neues Leben im Westen. Ein Großaufgebot der Polizei holte die Flüchtenden im Westen aus dem Tunnel und brachte sie zunächst ins Not-Aufnahmelager Berlin-Marienfelde, wo Müller später auch konfirmiert wurde. Die große Dankbarkeit, mit der Dr. Müller über die Hilfsbereitschaft und Höflichkeit der Polizisten erzählte, beeindruckte die Schülerschaft. Eine Fragerunde mit reger Beteiligung beschloss den Zeitzeugenvortrag.