St.-Gotthard-Gymnasium der Benediktiner Niederaltaich

Schultheater

Der Besuch der alten Dame

Schülerensemble „Wahlunterricht Theater 9/10“ brachte einen Klassiker der Schullektüre zur Aufführung

Das Ensemble des Niederalteicher Gymnasiums hatte wieder eine große Zahl Besucher und Theaterliebhaber zu den beiden Aufführungen am 10. und 11. Mai 2019 in die Turnhalle des St.-Gotthard-Gymnasiums gelockt. Sicher zog auch der Dürrenmatt-Klassiker, mit dem sich inzwischen schon mehrere Schülergenerationen im Deutschunterricht als Schullektüre herumschlagen, viele an. So war es auch für die Schülerinnen und Schüler der 9. Jahrgangsstufe, die am 10. Mai schon vormittags zu einer schulinternen Vorführung geladen waren, ein besonderes Theatererlebnis, wenn da die nüchternen Seiten eines Schulautors lebendig wurden, ihre Mitschüler in die Rollen der Figuren schlüpften, die vor ein paar Wochen noch im Aufsatz mühsam charakterisiert werden sollten. Sicher wurden dabei auch Vorstellungen entzaubert, wenn die alte Dame weit weniger extravagant daherkam, der Bahnhof, die Scheune, Ills Laden nur mit sparsamsten Mitteln in Szene gesetzt waren. Wieder war es die Reduktion, die das Bühnenbild des Schülerensembles auszeichnete, das lediglich ein großer Sarg aus hellem Holz beherrschte. Die Milliardärin Claire Zachanassian (Magdalena Theiß, 10a), die alte Dame, hatte diesen mitgebracht. Drohend und unerbittlich wie die Dame selbst mit ihrer Forderung, Alfred Ill (Simon Fortwängler, 9a) zu ermorden, blieb der Sarg in jeder Szene präsent, als Schreibtisch, Sitzgelegenheit, Ladentisch, Altar oder Sitzungstafel.

Claire Zachanassian besucht nach 45 Jahren ihre Heimatstadt, die sie als junge Frau verlassen hatte. Hier begegnet sie ihrer einstigen Jugendliebe wieder, dem Krämer Alfred Ill. Man sucht die Orte gemeinsamer Erinnerungen auf, alte Gefühle regen sich erneut und werden wieder ernüchtert durch die Erkenntnis, wie das Leben und das Alter den jeweils anderen gezeichnet haben. An sich ein Stoff „ohne Größe, ohne Tragik, ohne sittliche Bestimmung“ – eine Geschichte, wie sie das Leben immer wieder von neuem schreiben könnte… – Allerdings nicht, wenn sich Friedrich Dürrenmatt dieses Stoffes annimmt. In die Kleinkariertheit der Kleinstadtbürger und die langweilige Tristesse eines Lebens ohne Perspektiven oder Sinn für höhere Ideale, bricht mit dem Besuch der alten Dame plötzlich die Tragik von Schuld und der Suche nach Gerechtigkeit ein, so dass für einen Moment doch die edlen Werte aufscheinen und wieder verschwinden. Diese Fallhöhe wirkt in Dürrenmatts Charakteren komisch, sarkastisch, grotesk.

Es gelang den jugendlichen Darstellern, die Zuschauer in den Prozess der inneren Entwicklung ihrer Rollen einzubeziehen – von der drögen Missmutigkeit einer aussichtslosen Existenz zum drolligen Optimismus in der Hoffnung auf eine großzügige Spende der Milliardärin und dann von einem großartig-heroischen Bekenntnis für den Humanismus zum kleinlauten Eingeständnis des eigenen schuldig Werdens aus Gier: Elena Holz (10b), Hannah Drasch (10b), Anna Habereder (9a) und Camilla Wagner (9a) in der Rolle der Bürger, Philip Absolon (10b) als Bürgermeister, Eva Thaller (10a) und Caroline Glaser (9c) als Pastorin und Schulrektorin, Lorenz Kaineder (9a) und Julian Pylipp (10b) als Arzt und Polizist. Simon Fortwängler gelang es großartig, den Krämer Ill darzustellen, der mehr und mehr zum Gejagten wird, sich zunächst auflehnt, flieht, dann die Verantwortung für seine Jugendsünde und sein Schicksal übernimmt und sich schließlich zitternd vor Angst in seine Ermordung fügt. Auch Philip Absolon brillierte in seiner Rolle, zog alle Register der Charakterdarstellung, gab sich als Bürgermeister jovial-leutselig, dann hart realpolitisch und schließlich zunehmend nervös, schwitzend und fahrig.

Die Figur der Claire wurde von Marlene Theiß als eine distanzierte Schicksalsgöttin dargestellt, ihre Männer (als Gatten VII – IX trat mit ausgesprochen komischem Talent Julian Harrer 10b auf) als Ausstellungsstücke haltend und wechselnd, ihre Widersacher mit deren Gier nach Geld demütigend wie ihre Sekretärin Boby (Verena Streibl 10a), einst zuständige Richterin in dem Vaterschaftsprozess, und jetzt die Güllener Bürgerinnen und Bürger. Selbst die eigene Familie kann sich der Verführung des Luxus nicht entziehen und opfert ihren eigenen Ehemann (Marlene Welly ausdrucksstark in der Rolle der Mathilde Ill) und Vater (Jonas Breinbauer 9a: Sohn; Elisa-Maria Bachinger 10c: Tochter). Hannah Stöcker 10c zeigte sich vielseitig in verschiedenen Rollen als Bahnhofsvorstand oder Journalistin.

Eindringlich wollten die Schüler ihren Besuch der alten Dame präsentieren, darum die sparsame Requisite, der überdeutlich gegenwärtige Sarg. Die Schlussszene mit der in den Medien übertragenen Gemeinderatssitzung im Theatersaal verlegten die Schüler daher an das „St.-Gotthards“, bezogen die anwesenden Zuschauer mit ein und machten sie so zu Mitwissern, Mitverschwörern und Mitschuldigen. Deshalb verzichteten sie auch auf den Schlusschor des Stücks, den Dürrenmatt nach antikem Vorbild gestaltete, um dem Zuschauer wieder die Möglichkeit zu geben, sich von der tragischen Schuld zu distanzieren und – wenn schon nicht kathartisch geläutert zu sein – so doch wenigstens im Bewusstsein als Literaturgenießer und Bildungsbürger über dem Sumpf schuldhafter Verstrickung zu stehen. Die Schüler des St.-Gotthard-Gymnasiums endeten mit Ill im Sarg, dem Bürgermeister allein auf der Bühne, den Scheck der Milliardärin als Schuldbrief in der Hand. Betroffen wollten sie ihre Zuschauer machen und es gelang ihnen durch ihr großartiges und mitreißendes Spiel.

Erwähnt sei wiederum Christoph Gerstl (6a), der souverän Licht- und Tontechnik handhabte, und außerdem Schreinermeister Alfons Bachinger aus Iggensbach, der den Sarg mit Liebe zum Detail anfertigte und kostenlos der Theatergruppe überließ.

Verantwortlich für die Regie: Sr. M. Gratia Rotter